Weniger Verkehr muss her: Autoverkehr halbieren – Mobilität garantieren!

Positionspapier der AG Mobilität der BAG Klimagerechtigkeit

AG Mobilität

Autos und leichte Nutzfahrzeuge sind für etwa acht Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich (1). Trotz Effizienzverbesserungen und strengerer Abgasnormen sinken die CO2-Emissionen in diesem Sektor nicht, weil der motorisierte Verkehr weiterwächst. In Deutschland sind heute 71 Prozent mehr Lkw und 31 Prozent mehr Pkw auf den Straßen unterwegs als noch vor 30 Jahren. Und die Zahl der Autos steigt auch weiterhin. 2020 waren sechs Millionen Pkw mehr zugelassen als noch
vor zehn Jahren. Noch nie gab es so viele Autos auf deutschen Straßen: Aktuell sind es insgesamt 48,5 Millionen Pkw, die zudem größer, schwerer und daher stärker motorisiert sind.

Während andere Sektoren Emissionen reduzieren konnten, schädigt dieses Verkehrssystem durch den vermehrten Verbrauch fossiler Energieträger nicht nur das Klima, sondern ist auch durch die extensive Nutzung gemeinschaftlicher Naturgüter eine Ursache für die Zunahme und Intensivierung manifester Konflikte – andernorts und hierzulande. Schließlich bedingen auch der Abbau und Export postfossiler Rohstoffe wie Lithium oder Kobalt die Ausbeutung von Natur und Mensch, insbesondere in den naturexportierenden Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas (Stichwort: Extraktivismus). Von dort bezieht die Bundesrepublik – als weltweit fünfgrößte Rohstoffkonsumentin – den Großteil der Rohstoffe, die vor allem die Autoindustrie nutzt. Hierzulande bedingt das dominante Verkehrssystem die Versiegelung von immer mehr Flächen, vernichtet natürliche Lebensräume und trägt daher zum Artensterben bei. Nicht zuletzt sind Menschen mit geringem Einkommen von Verkehrslärm und Luftschadstoffen und dadurch bedingten Erkrankungen übermäßig betroffen (Stichwort: environmental injustice).

Das vorherrschende Verkehrssystem ist sozial ungerecht, denn das „eigene Auto“ gewährleistet nicht gleichermaßen Mobilität für Alle. Ein unzureichendes Angebot an öffentlichem Personenverkehr zwingt viele der im städtischen Umland oder im ländlichen Raum lebenden Menschen ein eigenes Auto zu besitzen, um ihrer Lohnarbeit nachzugehen. Wer sich das private Auto nicht leisten kann oder aus anderen Gründen nicht selbst fahren kann, ist von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen oder aber auf externe Unterstützung angewiesen. Auch fehlende Barrierefreiheit und zu hohe Preise des öffentlichen Verkehrs grenzen viele Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe aus. Nicht zuletzt sind die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung im Verkehrssektor zum Teil miserabel; insbesondere in den Transportberufen (ÖPNV, Speditionen, Lieferdienste, im Seeverkehr, an Flughäfen und bei Billigairlines) sowie bei den neuen Mobilitätsanbietern (UBER, E-Scooter etc.).


Eine Antriebswende ersetzt keine Verkehrswende

Ab 2030 keine Neuzulassung von Verbrenner-Pkw, diese Forderung Der Linken unterstützen wir. Zwar können E-Autos über die durchschnittliche Laufzeit im Vergleich zu Verbrennern mit weniger CO2-Ausstoß und einem geringeren Energieverbrauch betrieben werden, ein großer Anteil des Fahrstroms wird aber immer noch aus fossilen Energieträgern gewonnen. Und die Batterieproduktion findet (noch) hauptsächlich in Asien statt, genauer in China, Südkorea und Japan, wo der Energiemix in der Regel noch „schmutziger“ als in Deutschland ist. Erst mit vollständig regenerativem Strom können E-Autos einigermaßen CO2-neutral betrieben werden: eine Verkehrswende muss also auch mit einer tiefgreifenden Energiewende einhergehen und daher der Ausbau erneuerbarer Energien massiv vorangetrieben werden.

Die Herstellung von Autos aller Art basiert auf dem Raubbau von Naturgütern im „globalen Süden“ und ist in der Regel mit prekären Arbeits-, Menschenrechts- und unzureichenden Umweltschutzbedingungen verknüpft. Die Förderung von Erdöl, der Abbau von Eisenerz in Brasilien für die Stahlkarossen oder Kupfer in Peru für die Elektronik, heizt nicht nur selten Konflikte an, sondern vernichtet auch Lebensgrundlagen. Für die Lithium-Ionen-Batterie der vermeintlich „grünen Technik“ werden weitere Rohstoffe gebraucht: die Ausweitung extraktivistischer Grenzen etwa für Kobalt aus der Demokratischen Republik Kongo oder Lithium aus Chile erschweren oder verhindern gar selbstbestimmte Lebensweisen der Menschen und mehr als menschlichen Lebewesen. Dies gilt es zu beenden und die Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte sowie den Schutz der Natur, und zwar entlang der gesamten Lieferkette von Rohstoffen und Waren wie E-Autos zu garantieren. Vor diesem Hintergrund muss die sozial-ökologische Verkehrswende auch mit einer radikalen Rohstoffwende einhergehen: ein deutlich reduzierter Primärrohstoffverbrauch, dafür aber hoher Rezyklateinsatz, ein konsequentes Recycling und eine längere Lebensdauer reparabler Produkte sind nötig. Auch im Sinne globaler Gerechtigkeit ist die Zahl der Pkw bei einer Umstellung auf den E-Antrieb so weit wie möglich zu verringern. Sinnvoll ist der Einsatz von Elektroautos insbesondere als Flottenfahrzeuge (Taxen, Pflegedienste, kommunales Carsharing etc.) und im ländlichen Raum mit noch unzureichendem öffentlichem Personenverkehr. Allerdings müssen die Autohersteller gesetzlich verpflichtet werden, kleine und leichte und Fahrzeuge zu produzieren, die diesen Zwecken gerecht werden – und nicht E-SUV, worauf die Produktionsstrategie von VW und anderen Autokonzernen abzielt.


Notwendig ist der Einstieg in den Ausstieg aus dem motorisierten Individualverkehr Mobilität bedeutet nicht, viel unterwegs sein zu können, sondern die Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wir wollen Mobilität für Alle mit weniger Verkehr. Das gegenwärtige System individueller Automobilität gewährleistet das nicht für Alle. In seiner derzeitigen Form sichert es vor allem die Profite der fossil-automobilen Industriekomplexe. Es braucht ein flächendeckend sehr gut ausgebautes Angebot des öffentlichen Verkehrs, das zudem bezahlbar, wenn nicht zum Nulltarif nutzbar, und barrierefrei sein muss, damit ihn wirklich alle nutzen können. Eine gute Ausstattung von Orten mit Arbeitsplätzen, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, medizinischen und kulturellen Einrichtungen macht Menschen zudem mobil, ohne sich weit bewegen zu müssen. Wir wollen den Autoverkehr bis 2035 halbieren. Wir setzen auf die Vermeidung von Verkehr und dessen Verlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel. Technische Lösungen, die Antriebswende und die Digitalisierung sind zwar von Bedeutung, aber Autos müssen vor allem kleiner und leichter werden. Die Automobilproduktion insgesamt ist deutlich zu reduzieren und maßgeblich auf Nützlichkeit hin zu verändern. Eine Konversion sowie radikale Transformation der Automobilindustrie ist dabei unerlässlich, sie geht also weit über die Umstellung des Antriebsstranges hinaus. Hierzu braucht es starke ökologisch orientierte Gewerkschaften, eine wirksame und auch dezentrale staatliche Regulierung, die Demokratisierung der Unternehmen und eine aufgeklärte Zivilgesellschaft, die wie die sozialen Bewegungen von links unten auf das System einwirken, das radikal verändert werden muss.


1. Wir brauchen einen umfassenden und barrierefreien Ausbau des Umweltverbundes. Bahn und ÖPNV müssen zum flächendeckenden Grundangebot zur Mobilitätsgarantie mit einem mindestens stündlichen Angebot in jede Richtung zwischen 5 und 23 Uhr ausgebaut werden. In den Städten geht es vor allem um eine Verdichtung der Takte und kleineren Netzergänzungen. Die Stadt-Umland-Verbindungen sind auszubauen, um die Pkw-Pendler*innenströme zu reduzieren. Auf dem Land hingegen muss – unter Einsatz erheblicher öffentlicher Mittel – zunächst ein Grundangebot aufgebaut werden. Der ÖPNV wird ergänzt durch Carsharing-Angebote sowie weitere Leihangebote (E-Scooter, Pedelecs, Fahrrad), bevorzugt an den Stationen des ÖPNV. Taxen und öffentlich betriebene Flotten von Angeboten des Ridepooling ergänzen das ÖPNV-Angebot, auch außerhalb der Innenstädte. Es bedarf einer erheblichen Ausweitung der Förderung des Rad- und Fußverkehrs und der Investitionen für die Schaffung einer durchgehenden sicheren Infrastruktur, damit alle Wege gut bewältigt werden können. Dies schließt auch ausreichend Abstellanlagen an Stationen des öffentlichen Verkehrs und die Gewährleistung der kostenlosen Fahrradmitnahme ein. Deshalb muss die Bahn – auch grenzüberschreitend – erheblich an Kapazität zulegen und es ist ein europaweites Nachtzugnetz zu etablieren.

2. Um die gesellschaftliche Teilhabe aller zu gewährleisten, müssen die öffentlichen Mobilitätsangebote bezahlbar sein. Das 49-Euro-, 29-Euro- und 9-Euro-Ticket sind ein guter Anfang. Wir streben schrittweise einen Nulltarif für alle an. Die einkommensabhängige Entfernungspauschale, von der besonders Gutverdiener*innen profitieren, wird in ein einkommensunabhängiges Mobilitätsgeld umgewandelt, das für Geringverdiener*innen als Zuschuss ausgezahlt wird. Zugleich wird die steuerliche Förderung des Autobesitzes (Kaufprämie für E-Autos, Förderung privater Ladesäulen etc.) eingestellt. Bestehende Subventionen (Dienstwagenprivileg, Kfz-Steuer, Dieselprivileg, kostenloses Parken in den Städten) werden reduziert, reformiert oder ganz abgeschafft. Die politischen Maßnahmen zur aktiven Reduktion des motorisierten Individualverkehrs sollen Mobilität und Teilhabe insbesondere der sozial Benachteiligten, Kinder, Menschen mit besonderen Bedürfnissen und Älteren verbessern. Insgesamt sollte auf den individuellen Autobesitz durch den Auf- und Ausbau guter Alternativen verzichtet werden können. Diese Entwicklung geht von den Städten aus und erreicht zukünftig auch das (Um-)Land. Wenn niemand auf das eigene Auto angewiesen ist, dann bedeutet das eine deutliche finanzielle Entlastung. Um automobile Alltagspraktiken, Statusgewohnheiten und Bequemlichkeiten zu überwinden, sind „gute Vorbilder“ und veränderte Normalitäten sowie Kommunikationsoffensiven nötig.

3. Unnötig große, schwere und hoch motorisierte Autos – egal welchen Antriebs – sind von den Straßen zu verbannen. Hierzu könnte die Europäische Verordnung zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes neuer Pkw dahingehend geändert werden, so dass eine Reduzierung des Gewichts und der Größe von PKW vorgegeben und erreicht werden kann. Ergänzend dazu kämen Einfahrt- und/oder Parkverbote für Städte in Frage, eine Kfz-Steuer-Spreizung sowie eine deutliche Beschränkung des Dienstwagenprivilegs auf berufliche Nutzung. Eine Neuzulassungssteuer für Autos mit hohem Spritverbrauch ist einzuführen – nach dem Vorbild der Niederlande. (2)

4. Für die verbleibenden Pkw liegt der Fokus auf dem Elektroantrieb. Der Ausbau von für alle zugänglichen Ladesäulen, die öffentlich betrieben werden, ist zu beschleunigen. Der Einsatz von Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen für Pkw macht in der energetischen Bilanz keinen Sinn.

5. Um den Verkehr zu reduzieren, braucht es eine konsequent andere Raum- und Stadtplanung. Es gilt „gerecht = weniger + anders“ (Wissen 2022). Ausgehend von der Loslösung von der globalen Arbeitsteilung geht es um die Regionalisierung der Wirtschaft. Nicht nur für die Stadt, sondern auch für das Land müssen „kurze Wege“ geschaffen werden: flächendeckende Versorgung mit Lebensmitteln, medizinische Versorgung, Kitas und Schulen, Breitband, Bürgerämtern etc. Neue Siedlungs- und Gewerbegebiete dürfen nur an den Achsen des öffentlichen Verkehrs entstehen. Der Aus- und Neubau von reiner Auto-Infrastruktur muss unverzüglich gestoppt werden. Insbesondere für überdimensionierte innerstädtische Straßen (A100) ist ein Rückbau einzuleiten.

6. Auch dem Ordnungsrecht kommt hier eine zentrale Funktion zu: flächendeckende Parkraumbewirtschaftung unter Berücksichtigung der Pkw-Größe bei der Gebührenbemessung, sukzessive Reduktion der Parkplätze, Tempolimits – von 120 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Landstraßen und 30 km/h innerorts –, Größenbegrenzungen von Pkw, Durchfahrt- und Parkverbote etc. Städte wie Paris oder Barcelona (15-Minuten-Stadt; Superblocks) zeigen, dass das ordnungsrechtliche Instrument des „Kiezblocks“ die Lebensqualität in Stadtquartieren verbessern kann, wenn sie sukzessive flächendeckend eingeführt werden und die Verdrängung von Anwohner*innen durch begleitende wohnungspolitische Maßnahmen verhindert wird.

7. Weniger Autoverkehr bedeutet nicht den Abbau von (Industrie-)Arbeitsplätzen. Durch die Verkehrswende entstehen sogar neue Arbeitsplätze (3) und neue Dienstleistungen, die auch den Maßstäben Guter Arbeit entsprechen sollten. Dazu muss die entsprechende Expertise aufgebaut werden, um allen von der Transformation Betroffenen neue berufliche Perspektiven bieten zu können. Die Begleitung der Transformation braucht starke Gewerkschaften, die wir uns klimabewegt wünschen, sowie eine Demokratisierung der Unternehmen, denn in vielen Betrieben sind die Beschäftigten in der Akzeptanz der Notwendigkeit eines Wandels deutlich weiter als die Unternehmensführungen. Der Verbund von starken Gewerkschaften und ausgebauten Arbeitnehmer*innenrechten kann die Arbeitsbedingungen verbessern und Beschäftigungsbrücken erwirken, um schließlich die Umstellung der Produktion auf gesellschaftlich sinnvolle Güter und Waren anzustoßen.

8. Dazu brauchen wir das Primat der Politik im Interesse der Zivilgesellschaft über die Wirtschaft. Der Wettbewerb von Industrie, Dienstleistern und Anbietern von „new mobility“ muss ersetzt werden durch die öffentliche Bereitstellung oder ein Bestellerprinzip der öffentlichen Hand. Diese Daseinsvorsorge bedarf gesellschaftlicher Planung, Demokratisierung und auskömmlicher Finanzierung auf allen staatlichen Ebenen.

9. Wir wollen die Verkehrswende demokratisch gestalten. Es sollte die aufgeklärte und solidarische Zivilgesellschaft sein, die vorgibt, was wie produziert, distribuiert und konsumiert wird, wo welche Verkehrsinfrastruktur gebaut und wo welche Verkehrsangebote bereitgestellt werden. Dafür braucht es eine deutliche Verbesserung der Bürger*inbeteiligung bei Entscheidungsprozessen über Infrastrukturmaßnahmen. Dass die Menschen dies wollen, zeigen unter anderem die sozialen Bewegungen, die sich für eine Verkehrswende einsetzen. Damit alle einbezogen werden, sind vielfältige Formen der Partizipation nötig.

10. Damit die Menschen zukünftig anders mobil sein können, braucht es aber auch Beratungsangebote. Dafür steht zum einen das betriebliche Mobilitätsmanagement als Instrument zur Verfügung, das in Betrieben ab 100 Mitarbeiter*innen verpflichtend sein muss. Zum anderen sollten alle sogenannten Gebietskörperschaften Mobilitätsberater*innen anstellen, die ihren Bewohner*innen auf der einen Seite beim Umsteigen helfen und auf der anderen Seite deren konkrete Anmerkungen aufnehmen und an die planenden Instanzen weitergeben, damit der Ausbau des Angebotes auch die Bedürfnisse der Menschen trifft.


Die Verkehrswende geht Hand in Hand mit der Mobilitätswende: Unser Ziel ist, dass Menschen nicht nur auf individuelle Automobilität verzichten können, sondern es auch wollen. Eine Verkehrswende fällt also nicht nur mit einer gleichsam umfangreichen wie tiefgreifenden Energie- und Rohstoffwende zusammen, sondern auch mit der Überwindung des vorherrschenden Verkehrssystems, das die Aufrechterhaltung einer imperialen (elektro-)automobilen Lebensweise (Brand/Wissen 2017; Schlosser 2020) begünstigt. Die vorherrschenden Produktions- und Konsummuster in kapitalistischen Ländern wie Deutschland sind eben nur möglich, weil die Kosten in ein „Außen“ (Rosa Luxemburg), das zuvorderst im Globalen Süden, aber auch in der europäischen Peripherie und Osteuropa situiert ist, externalisiert und dort ungleich über Natur und der Bevölkerung verteilt werden. Davon profitieren wiederum nationale Eliten, so dass der individuelle (E-)Autobesitz hierzulande die asymmetrischen Macht- und Herrschaftsverhältnisse andernorts reproduziert. Auch im Lichte internationaler Solidarität soll der Besitz und das individuelle Autofahren zukünftig zum „notwendigen Übel“ und der Umweltverbund hingegen erstrebenswert werden.

Um den sich global ausbreitenden automobilen Konsens zu dekonstruieren, wollen wir öko-kapitalistische Diskurse entkräften und auch Autowerbung aus dem öffentlichen Raum verbannen. Automobilen Alltagspraktiken setzen wir gerechte Alternativen entgegen, die ein Gutes Leben einer solidarischen Gemeinschaft in der Stadt und auf dem Land fördern. Zur Verallgemeinerung solidarischer Produktions- und Konsumweisen und somit der Überwindung des Kapitalismus wollen wir Bündnisse bilden. Kämpfe für gerechte Mobilität wie die von #wirfahrenzusammen, „Berlin autofrei“, „Changing Cities“, „Critical Mass“/“Kiddical Mass“ oder der Initiative „Verkehrswendestadt“ in Wolfsburg wollen wir mit denen für Gutes Wohnen wie von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ und für Gute Pflege und Sorge durch die Vergesellschaftung der Krankenhäuser verbinden. Denn auch an der Sozialisierung der großen Autokonzerne kommen wir nicht vorbei. Gemeinsam wollen wir von- und miteinander lernen, was auch bedeutet, dass wir vergangene Kämpfe berücksichtigen und den Dialog mit Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbänden, Stiftungen wie der Rosa-Luxemburg-Stiftung, den kritischen (Sozial-)Wissenschaften und weiteren gegenhegemonialen Akteuren suchen. Das übergeordnete Ziel der globalen Klimagerechtigkeit erreichen wir schließlich nur mit vereinten Kräften.

 

(1) https://www.iea.org/reports/cars-and-vans

(2) https://www.greenpeace.de/publikationen/reformvorschlag-kfz-steuer

(3) https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Candeias-Krull-Spurwechsel.pdf

 

Literatur:

  • Brand, Ulrich/Wissen, Markus (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München.
  • Candeias, Mario/Krull, Stephan (2022): Spurwechsel, URL: https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/spurwechsel/
  • Greenpeace (2020): Reformvorschlag KFZ-Steuer – Wie eine Zulassungssteuer Klimaschutz im Verkehr voranbringen kann, URL: https://www.greenpeace.de/publikationen/reformvorschlag-kfz-steuer.
  • International Energy Agency (2022): Cars and Vans, URL: https://www.iea.org/reports/cars-and-vans (Zugriff am 13.1.2023).
  • Schlosser, Nina (2020): Externalised Costs of Electric Automobility: Social-Ecological Conflicts of Lithium Extraction in Chile. IPE Working Paper, No. 144/2020.
  • Wissen, Markus (2022): Gerecht = weniger + anders. Anmerkungen zur Just Transition in der Autoindustrie, in: Mario Candeias, Stephan Krull (Hrsg.): Spurwechsel. Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion, Hamburg, 341–350.

Fünf Maßnahmen für ein Sofortpaket Wärmewende

Was es jetzt braucht für eine sozial und ökologisch gerechte Umsetzung der Wärmewende

Wohnen wird für immer mehr Menschen unbezahlbar. Ein Grund dafür sind neben den explodierenden Mieten die steigenden Energiekosten für fossile Brennstoffe. Gleichzeitig ist der Wärme- und Gebäudebereich eine der größten Baustellen beim Klimaschutz in Deutschland und für fast 30 Prozent der Treibhausgase in Deutschland verantwortlich. Der Gebäudesektor hat bislang – wie der Verkehrssektor – nichts zum Erreichen der Klimaziele beigetragen. Deshalb ist das Vorhaben der Bundesregierung grundsätzlich richtig, ab 2024 keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr einzubauen. Dass die Ampel-Regierung diesen Weg vorschlägt, ohne die Finanzierung, soziale Abfederung und Umsetzung zu benennen, kostet unnötig Akzeptanz und wälzt die Verantwortung für die Umsetzung auf die Bürger*innen ab. Das macht vielen Menschen gerade Angst: Wie soll ich den Umbau bezahlen? Was ist für mich die beste Lösung? Was passiert, wenn meine Gastherme kaputt geht? Diese Sorgen sind berechtigt und müssen ernst genommen werden. Denn die Wärmewende ist eins der wichtigsten Projekte im Kampf gegen die Klimakrise und erfordert eine gesellschaftliche Kraftanstrengung, damit die Last nicht auf den Schultern der Bürger*innen liegen bleibt.

Wir fordern deshalb ein radikales Umsteuern: Wir brauchen kommunale Wärmeplanung und Sanierungsbeauftragte, um großflächige Beratungsangebote für Bürger*innen zu schaffen und Quartierslösungen zu erarbeiten. Für Mieter*innen und Nutzer*innen kleiner Eigenheime mit geringen und mittleren Einkommen dürfen im geplanten Umbauprozess keine Zusatzkosten anfallen. Diese müssen mit gezielten Förderungen und Maßnahmen unterstützt werden. Das betrifft am stärksten Bezieher*innen von Transferleistungen sowie Rentner*innen. Wenn die Wärmewende zudem mit gut gestalteten Ausbildungsprogrammen einhergeht, wird sie zum Jobmotor. Für die Umsetzung einer sozial gerechten Wärmewende fordern wir folgende Maßnahmen:

 

1. Mieter*innen schützen, Modernisierungsumlage abschaffen!

60 Prozent der Haushalte wohnen zur Miete. Sie sind schon jetzt von rasant steigenden Mietpreisen betroffen, bei denen der Haupttreiber die Spekulation ist. Doch allzu häufig dienen auch energetische und Luxussanierungen dazu, Mieter*innen zu vertreiben. Der Austausch von Heizungen darf diesen Trend nicht verstärken und muss warmmieten-neutral sein. Das heißt die Kosten von Heizungstausch dürfen nur so weit auf Mieter*innen umgelegt werden, wie diese bei den Energiekosten sparen.

Das Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen darf nicht dazu führen, dass Mieter*innen zusätzlich belastet oder gar aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Deshalb fordern wir seit Jahren die Abschaffung der Modernisierungsumlage. So können Vermieter*innen die Kosten für energetische Sanierungen nicht mehr auf die Mieter*innen abwälzen. Viel zu häufig nehmen Vermieter*innen Förderungen für energetische Sanierungen oder Heizungstausch in Anspruch und legen dann trotzdem die Kosten auf die Mieter*innen um.

 

2. Gezielte Förderungen für Eigenheimbesitzer*innen statt für Immobilienkonzerne

Sanierungen und Heizungstausch sowie die Installation von Solarthermie müssen staatlich gefördert werden. Es ist gut, dass die Förderungen von der Bundesregierung auf 14 Milliarden pro Jahr aufgestockt wurden. Diese Förderungen müssen aber viel zielgerichteter eingesetzt werden. Anstatt pauschaler Förderbeträge von 40% der Kosten oder bis zu 24.000 Euro pro Wärmepumpe, fordern wir progressiv wirkende Förderprogramme, die sozial gerecht wirken.

Viele Eigenheimbesitzer*innen können sich den Heizungstausch und die energetische Sanierung nicht leisten - deshalb wollen wir Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen besonders großzügig unterstützen, sodass die Maßnahmen für sie nicht zur Existenzbedrohung werden. Niemand soll ihr Haus verkaufen müssen, weil sie sich den Heizungstausch und die energetische Sanierung nicht leisten kann. Dafür muss ein großzügig ausgestatteter Härtefallfonds aufgelegt werden, der unbürokratisch zugänglich ist. Statt pauschaler Förderungen fordern wir progressiv wirkende Förderprogramme, die nach Einkommensklassen gestaffelt werden. In der niedrigsten Einkommensklasse wird ein Großteil der Kosten für den Heizungstausch übernommen, in der höchsten Einkommensklasse sinkt die Förderung auf null. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich alle eine klimafreundliche warme Wohnung oder ein warmes Haus leisten können – die Kosten für die Sanierung einer 300qm Villa von Millionären oder der Drittwohnung gehören nicht dazu.

Die notwendigen Fördermittel für energetische Sanierungen dürfen nicht als Profit in den Taschen von Immobilienkonzernen landen. Es darf nicht sein, dass sich Immobilienkonzerne wie Vonovia Förderungen in Millionenhöhe bezahlen lassen und dann Milliarden an Dividenden ausschütten. Die Bundesregierung möchte in diesem Jahr die Wohngemeinnützigkeit wieder einführen. Damit wird ein Rechtsrahmen geschaffen, mit dem Förderungen im Gebäudesektor an soziale und ökologische Bedingungen gekoppelt werden können. Vermieter*innen und Wohnungskonzerne, die sich die Kosten energetischer Sanierungen nicht leisten wollen, können unter den Schirm der Wohngemeinnützigkeit schlüpfen. Wir fordern, dass Wohnungskonzerne Zugang zur vollständigen öffentlichen Förderung der Kosten für Sanierungen und Heizungstausch erhalten, wenn sie sich im Gegenzug auf die gemeinnützige Bewirtschaftung ihrer Wohnungen verpflichten, mit Mietobergrenzen und der Pflicht zur Reinvestition von Gewinnen. In Verbindung mit der Abschaffung der Modernisierungsumlage wirken diese Förderbedingungen wie eine indirekte Mietpreisbremse und führen damit zu Entlastungen für die Mieter*innen. Vermieter*innen wie kommunale Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften, die ohnehin gemeinnützig operieren, wollen wir ebenfalls mit großflächigen Förderprogrammen unterstützen.

 

3. Kommunale Wärmeplanung mit Sanierungsbeauftragten umsetzen

Die Pläne der Bundesregierung wälzen die Verantwortung auf die Vermieter*innen und Eigentümer*innen ab und lassen diese im Kalten sitzen. Wir fordern die Umsetzung von kommunaler Wärmeplanung, mit der vor Ort geschaut wird, welche Lösungen möglich und praktikabel sind. Statt wie jetzt, alle Eigentümer*innen Haus-für-Haus Lösungen erarbeiten zu lassen, braucht es eine aktive staatliche Steuerung von Wärmenetzen, um Lösungen auf Quartiers und Siedlungsebene zu ermöglichen. In Dänemark sind Kommunen seit 1979 dazu verpflichtet Wärmepläne zu erstellen – dadurch gibt es in Dänemark einen viel höheren Anteil an Fernwärmenetzen. Zur Umsetzung kommunaler Wärmeplanung fordern wir Sanierungsbeauftragte in den Kommunen einzusetzen, wie es sie in den 1990er Jahren in Ostdeutschland bereits gab. Diese sollen gemeinsam mit den Bürger*innen Wärmepläne für Nachbarschaften entwickeln, um kollektive Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen.

Der Vergleich mit dem eher kälteren Skandinavien zeigt, dass die Wärmewende möglich ist. Laut Europäischem Wärmepumpen Verband (EHPA) heizen in Norwegen 60 Prozent der Haushalte mit einer Wärmepumpe, in Schweden 43 Prozent und Finnland 41 Prozent. Der Einbau von Wärmepumpen ist auch in Deutschland ein wichtiger Baustein, um Öl- und Gasheizungen zu ersetzen. Mit kommunaler Wärmeplanung wollen wir auch andere, kollektive Lösungen fördern. Der Neubau und die Ertüchtigung von Nah- und Fernwärmenetzen und damit verbunden eine zunehmende Abwärmenutzung sind wichtige Bausteine für die Wärmewende. Wärmespeicher können die notwendige Flexibilität schaffen. Wenn eine Neubausiedlung auf der grünen Wiese gebaut wird, kann die Nutzung von Geothermie-Wärmepumpen möglich und kostengünstig sein, derartige Lösungen müssen geprüft werden. Dabei ist klar: Das Framing der Technologieoffenheit ist eine Verschleppungsstrategie der fossilen Industrie.Alle Expert*innen sind sich einig, dass Wasserstoff keine flächendeckende Lösung im Wärmebereich sein kann, da der energetische Wirkungsgrad im Vergleich zu, zum Beispiel Wärmepumpen um ein Vielfaches geringer, und das Heizen dadurch teurer ist.

Die Nah- und Fernwärmenetze, die durch kommunale Wärmeplanung geschaffen werden, wollen wir in öffentliche Hand überführen und, zum Beispiel in Stadtwerken, lokal verwalten. Wenn Quartierslösungen mit mehreren Eigentümer*innen erarbeitet und umgesetzt werden, können Genossenschaften oder andere gemeinwirtschaftliche Eigentumsmodelle sinnvolle Lösungen sein. In Dänemark gibt es ein Gewinnverbot im Wärmebereich – dies fordern wir auch in Deutschland.

 

4. Fachkräfte bereitstellen

Der Mangel an Handwerker*innen gefährdet die Umsetzung der Wärmewende. Deshalb fordern wir eine Ausbildungsoffensive im Handwerk und Fortbildungsprogramme für Wärmepumpen und andere regenerative Heizsysteme. Gleichzeitig braucht es höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen im Handwerk, damit diese Jobs auch attraktiv sind, und die Wärmewende zum Jobmotor werden kann. Wir fordern allgemeinverbindliche Tarifverträge für Handwerker*innen, damit bessere Arbeitsbedingungen auch umgesetzt werden können. Auch müssen zusätzliche Sanierungs- und Energieberater*innen ausgebildet werden, die zielgenau unterstützen können, bei welchen Gebäuden welche Maßnahmen notwendig und zielführend sind. Sie sind die Fachkräfte für sozialverträgliche Sanierungen und koordinieren Vorhaben im Rahmen von Quartierslösungen. Für die Aus- und Weiterbildungsprogramme sollte ein Bundesprogramm aufgelegt werden, damit in den nächsten 5 Jahren tausende Fachkräfte ausgebildet werden können.

 

5. Die Finanzierung der Wärmewende als Verteilungsfrage

Die Wärmewende erfordert massive Investitionen in die soziale Infrastruktur. Um dies zu finanzieren, sind zwei Dinge notwendig: Erstens muss die Schuldenbremse aufgehoben werden, denn die Investitionen im Wärmebereich schaffen die Grundlage für eine sozial- und ökologisch gerechte Wärmeversorgung in den kommenden Jahrzehnten. Daher ist es sinnvoll, die Finanzierung auch auf längere Zeit anzulegen. Es ist sinnbildlich, dass 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr ad hoc ins Leben gerufen werden können, aber bei den notwendigen Investitionen in die öffentliche Daseinsfürsorge gespart wird.

Zweitens: Die Finanzierung der Wärmewende ist eine Verteilungsfrage. Die Wärmewende ist finanzierbar, wenn Reiche und Konzerne endlich gerecht besteuert werden. Seit Jahren fordert DIE LINKE die Wiedereinführung der Vermögensteuer, durch die den Ländern und Kommunen jährliche Einnahmen in Höhe von rund 60 Milliarden Euro pro Jahr zugutekommen könnten. Hinzu kommen Re-Finanzierungseffekte aus dem Jobmotor: Alle Ökonom*innen gehen davon aus, dass öffentliche Investitionen sich ca. 1:1 refinanzieren, weil u.a. zusätzliche Lohnsteuern eingenommen werden. Die Finanzierung könnte auch aus den üppigen Übergewinnen der (fossilen) Energiekonzerne erfolgen. Anstatt die Übergewinnsteuer ab Juni wieder auszusetzen, wie es die Bundesregierung plant, könnte diese verlängert werden, um damit einen direkten Beitrag für die ökologische Transformation zu leisten.